Nahbereich und Makro

Einige Anmerkungen zum Status quo der digitalen Licht-Bildnerei (2024)

 

(Optimiert für FullHD – 1920x1080Pix – und Smartphone + Full Screen. Bei 27 Zoll-Bildschirmen auf 120% vergrößern. Empfohlener Browser: FIREFOX.)

 

My Art of Vision Newsletter (27.08.2024)

 

Gemeine Heidelibelle
2x Gemeine Heidelibelle, Collage aus zwei Fotos. Aufnahmeort: NSG Horloffauen bei Trais-Horloff, Wetterau.

Ich wurde gefragt, wie das obige Libellenbild “gemacht” wurde. Im Neudeutschen the technical story behind the picture (making of). Ich denke, vielleicht interessiert das auch andere. Denn fast in jedem Haushalt existiert heute eine Kamera, und manche würden gerne etwas mehr damit anstellen. Außerdem werden wir ja tagtäglich mit Bildern geflutet. Dabei ist es durchaus spannend und ggf. hilfreich, zumindest erahnen zu können, was praktisch dahintersteckt. Von nix kommt auch nix, so heißt es. Das gilt immer und überall. Allerdings ist es nicht so, dass sich die Fotografie zu einer undurchschaubaren Wissenschaft für ausgesuchte Experten entwickelt hat. Fotos macht heute jedes Smartphone, manchmal sogar bessere als eine teure Systemkamera.

 

Exkurs: Die besten Bildermacher spielen allerdings in einer anderen, gefühlt fast surrealen Liga

Der eigentliche Unterschied zu den atemberaubenden Naturbildern und TV-Produktionen in 4K/8k ist und bleibt, mit welchen (naturschonenden!) raffinierten Strategien und entsprechendem persönlichem Engagement die Hochleistungstechnik in der Praxis konkret eingesetzt wird, um das zu bekommen, was der “normale Naturfreund” selten oder nie beobachtet, was uns deshalb schlechterdings den Atem verschlägt. Gemeint sind u.a. perfekt ausgeleuchtete Live-Bilder aus einer Spechthöhle, einem Fuchsbau, von einem Adlerhorst oder Unterwasser, wenn die Lachse laichen, oder aus einem Heißluftballon drei Meter über den Baumwipfeln, oder mit einer Zeitlupencam für  1000 Bilder/sec, oder seit ein paar Jahren mit einer Foto-Drohne, die völlig neue Perspektiven eröffnet, usw. Ad personam: Die wahren Künstler in der Naturvideografie sind mithin die Herren Jan Haft & Co. (Damen leider so gut wie nicht), die uns gelegentlich über ihre Abenteuer berichten. Wer mehr wissen möchte, der schaue sich die einschlägigen Videos auf YOUTUBE an.

 

 

 

Zurück zum Thema:

Über Makro sprechen wir bei einem Abbildungsmaßstab von rund 1:2 oder größer. Spezielle Makroobjektive sind ganz genau dafür optimiert und liefern eine hervorragende Abbildungsquali bis in die Ecken. Allerdings sind deren Brennweiten (Kleinbild-Vollformat) meist relativ kurz. Grob zusammengefasst 50-60mm, 85-105mm und einige darüber hinaus 150-200mm. Man muss schon relativ nah am Motiv dran sein – und das ist namentlich bei scheuen Tieren das Problem (Fluchtdistanz). Nicht zuletzt gibt es Motive, die sich räumlich per se unserem Zugang entziehen. Beispiel: Für ein Bildli vom Enzian oder vom Edelweiß (beide streng geschützt) vor tiefem Abgrund wollen wir nicht unser Leben riskieren, sondern lieber Abstand halten.

Die Physik der Brennweite gilt auch im Makro-Bereich

Ein wesentlicher Unterschied von Makro-Objektiven hängt mit der physikalischen Abbildungseigenschaft der unterschiedlichen Brennweiten zusammen. Ein beispielsweise 150mm-Makroobjektiv ist nun mal auch ein 150mm-Tele, das bereits kurz hinter seinem Schärfepunkt in die Unschärfe übergeht – eben typisch Tele! Damit verschwimmt alles hinter dem eigentlichen Motiv in weichen Strukturen. Unruhige Hintergründe mit störenden Linien und Flecken lassen sich so schön “entwaffnen”. Auf der anderen Seite erlauben sie jedoch kaum, ein Tier beispielsweise integriert in seinem typischen Lebensraum abzubilden.

Ein 35mm-Makroobjektiv hingegen verfügt über ein völlig anderes Tiefenschärfen-Verhalten. Wie bei Weitwinkeln üblich, geht es hinter dem eigentlichen Schärfepunkt wesentlich langsamer in die Unschärfen über. Hintergrundstrukturen können gewünschter Teil der Bildaussage werden – oder auch sehr stören!

Das Libellen-Bild oben wurde mit 500mm Brennweite an der Canon EOS R7 gemacht. Deren Crop-Faktor von 1,6 = 1,6-fach kleinerer Bildsensor als Vollformat erzeugt die gleiche Bildwirkung wie ein 500 x 1,6 = 800mm Objektiv an einer Vollformat-Kamera, und dies bei einer unveränderten Naheinstellgrenze von 1 – 1,2 Metern und 32 Megapixeln Sensor-Auflösung.

 

 

Ich persönlich finde den Nahbereich (Abbildungsmaßstab bis ca 1:3) mit Habitat (dort wo unser Motiv lebt) spannend. Das können wir noch ziemlich problemlos ohne zu großen technischen Aufwand darstellen. Die Canon EOS R7 (32 MP) und das RF 100-500 reichen dafür alleine schon aus.

Tricky Erweiterung des Schärfentiefe-Bereichs: Fokusstacking

Die Kombi aus Hardware (hochwertiges Glas und Feinmechanik) und einer intelligenten Kamerasoftware haben es möglich gemacht, eine Vielzahl von Fotos ( Serienmodus, 10-20 Bilder/sec) mit jeweils leicht verändertem Fokuspunkt zu einem durchgängig scharfen Digitalbild zu verrechnen. Bis vor Kurzem musste das ausschließlich extern am Rechner mit einer Spezialsoftware vorgenommen werden. Die neuesten Kameras beherrschen das Prinzip mittlerweile selbst und verrechnen die Bildserie bereits in der Kamera (als JPG). Die rechte Libelle auf meinem Bild oben wurde auf diese Weise gestackt; sonst wäre die notwendige Schärfentiefe nicht möglich gewesen.

Zwei Dinge vereinfachen/ergänzen den Prozess:

1) Mit einem Einbeinstativ darunter wird das Ruhig-Halten und Zielen mit dem AF deutlich entspannter. Es dient mir zudem als Universal-Spazierstock und Abwehrwaffe gegen Hunde!! und sonstige Angreifer.
2) Was die wenigsten wissen, und noch weniger können damit umgehen: Der Einsatz eines Aufhellblitzes auch und gerade in der Natur bei Tageslicht. Das ist ein wirklicher Gamechanger bei schlechtem Licht sowie bei Gegenlicht. Der Blitz friert jede Bewegung ein, Verwackeln kann man damit nicht. Die Blitzautomatik + die Cam-Automatik beherrschen im Prinzip alles, manuell geht aber genauso.

 

Zusammenfassung

Man sollte wissen, was man mit welchem Aufwand fotografieren will und welche Kompromisse man dabei eingehen muss (will). Mit etwas Zubehör kann man die Einsatzgebiete noch deutlich erweitern. Beispiele dafür:

1) Ein Konverter verlängert die Brennweite.
2) Ein Zwischenring macht ein Objektiv für den Nahbereich tauglich.
3) Eine Nahlinse erschließt den Makrobereich (man braucht nicht zwingend ein Makroobjektiv).
4) Ein Einbeinstativ stabilisiert den Aufnahmeprozess (leicht, flexibel und eine Allzweckwaffe für fast alles).
5) Der Elektronenblitz in Kombi mit der Intelligenz der Kamera … erzeugt (ziemlich unscheinbar) zusätzliches Licht und macht vieles möglich, was anders nicht funktioniert. Beispielsweise, wenn man auf den zweiten Verschlussvorhang auslöst.

Siehe hier:

 

Um das Blitzlicht (vergleichbar Sonne, 6500 Kelvin) weicher zu bekommen, verwendet man eine Streuscheibe und/oder blitzt indirekt gegen einen Reflektor.
Dafür eignet sich oft eine Wand, eine Zimmerdecke oder ggf. ein weißer Karton.

 

Tele-Makro

Es besteht die Aufgabe, aus einem Teleobjektiv ein Makro-Teleobjektiv zu “basteln”. Das ist nicht schwer, man braucht dafür Zwischenringe zwischen Kamera und Objektiv … oder/und ganz vorne an der Frontlinse wird ggf. ergänzend eine Nahlinse oder ein Vorsatz-Achromat angeschraubt, für Abbildungsmaßstäbe jenseits von 1:1. All dies ändert für eine Systemkamera nichts – deren komplette Elektronik funktioniert trotzdem weiter wie gehabt, namentlich das Fokus-Stacking.

Hänge ganz unten ein Beispiel an, um zu verdeutlichen, worum es geht. Der Kollege hat einen Wasserkugelspringer aufgenommen, ratzscharf von vorne bis hinten. Das Tier ist keinen Millimeter groß. Jan Haft hätte es nicht besser machen können. :-))

Ja, ich weiß. Technik-Kram ist für viele langweilig; aber nicht für alle. *gg*

Rückfragen? Gerne!

Herzliche Grüße, und achtet wieder mehr auf die “kleinen Dinge” im Leben. 🙂

 

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Veröffentlicht im Canon R-Forum.

 

Grünes Heupferd nebst Igelfliege.
Grünes Heupferd nebst Igelfliege.

 

Gemeine Heidelibelle
Gemeine Heidelibelle

 

 

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